Versuch über Wabi-Sabi

 
 

Ursprünglich bedeutete Wabi sich elend, einsam und verloren fühlen in der Trübsal des Lebens, allein in der Natur und fern der menschlichen Gesellschaft, ein freudloser, niedergeschlagener und entmutigter Gemütszustand. Dies wandelte sich mit der Zeit jedoch in eine Freude an der Herbheit des Einsam-Stillen, an der Einfachheit und materiellen Beschränkung. Gleiches erfuhr die Bedeutung des Sabi : ursprünglich als fröstelnd, abgezehrt, verwelkt und altseiend charakterisiert, verschob sich die Bedeutung ins Positive und fokussierte dann auf das Zeigen von Patina und ein Verfügen über Reife. Im japanischen Altertum entstand die eigentlich nicht klar zu übersetzende, oft unergründliche oder zumindest diffuse Begriffseinheit Wabi-Sabi, auch sie nun zunehmend in positiver Bedeutung gebraucht:
- die Schönheit vergänglicher und unvollständiger Dinge
- die Schönheit anspruchsloser und schlichter Dinge
- die Schönheit unkonventioneller Dinge.
Wabi-Sabi im engeren Sinne kennzeichnet auf diese Weise ein ästhetisches Konzept, fokussiert aber im genaueren Betrachten vor allem auf eine gewisse Art, Dinge in ihrem Sosein wahrzunehmen und wertzuschätzen, weist auf einen bestimmten Weg akzeptierend die Welt anzuschauen und in ihr zu leben. Es ist damit eine bewusst gepflegte Kultur des Unperfekten, Unbeständigen und Unvollständigen gemeint, die sich in einer grossen Freiheit an Formen, sublimen Farben und in formaler Einfachheit ausdrückt.

Nicht die offenkundige Schönheit ist das Höchste, sondern die verhüllte; nicht der unmittelbare strahlende Glanz der Sonne ist ausschlaggebend, sondern der gebrochen fahle des Mondes; nicht die vollkommene Form ist das Ziel, sondern die durch das Leben gezeichnete. Die Wahrnehmung dieser Schönheit erzählt vom Gebrauchtwerden, von Zeit, Vergänglichkeit, von der stillen Würde des Alterns und löst damit das Gefühl einer wehmütigen Traurigkeit und existentiellen Einsamkeit aus, gepaart mit einem bittersüßen Trost, der durch das Wissen hervorgerufen wird, dass alle Lebewesen das gleiche Schicksal im Kommen und Gehen ereilen wird - das ist das melancholisch schöne Gefühl des Wabi-Sabi.

Eine bemooste Mauer, ein grasbewachsenes Strohdach, ein knorriger Baum, ein vom Feuer gezeichnete Gefäß, ein schartiges Messer … in solchen Dingen findet sich viel Wabi-Sabi. Jeder Gegenstand ist ein Einzelstück und vom ähnlich gleichem durch seine Geschichte verschieden. In der Betrachtung erzeugen just diese Unterschiede ästhetisches Wohlbehagen. Anforderungen werden nicht standardisiert angegangen, sondern man sucht nach individuellen, für jeden Gegenstand und jede Situation zugeschnittene Antworten. Mehrdeutigkeiten erfreuen dabei und Widersprüchlichkeiten beleben geradezu. Außerdem führt das Akzeptieren von Unvermeidlichem dazu, die “Größe” eines Dinges gerade in den unscheinbaren, leicht übersehbaren Details zu finden. Das Entdecken von Wabi-Sabi in Nebensächlichem und Verborgenem zwingt zu einem langsamen Schritt, zu Geduld und genauem Hinsehen. Zuwendung enthüllt Wabi-Sabi. Dann kann auch geschehen, dass etwas gemeinhin als häßlich Bezeichnetes im dynamischen Prozess des Wahrnehmens und Wahrgenommenwerdens als schön erlebt wird, oder besser gar schön wird. Der Kontext und der passende Standpunkt und der angemessene Bewusstseinszustand können aus Häßlichkeit Schönheit hervorlocken. Ein Ding erreicht dann den Zustand des Wabi-Sabi und sei es auch nur für jenen Moment, wo er als solches gewürdigt wird. Ein Wabi-Sabi-Dasein schwindet ohne Würdigung.

Es geht um die Hoheit, die in der Hülle des scheinbar Unscheinbaren strahlt, um die Akzeptanz und Wertschätzung der Unvollkommenheit und um die durch das Leben herb gezeichnete Schlichtheit, die einem Sehenden, einem Verstehenden, einem Liebenden alle Aspekte einer tiefen Schönheit offenbart …

Entstanden während sinnender Betrachtungen des Rauchbrandgeschehens
und verknüpft u.a. mit Ausführungen Leonard Korens.


 
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Rauchbrand: Wege durch Feuer&Rauch