Nachdenken über den Umkreis: die Assemblagen

 

Der Umkreis ist das Pendant zum Punkt, zum Einzelding. Es befindet sich in dessen Zentrum und blickt um sich in die Peripherie, erhält von dort Antwort.

Beide Pole – Zentrum wie Peripherie – gehören zusammen. Beide sind konstituierende Teile EINER Sache – oder schärfer formuliert: Punkt & Umkreis sind die zwei polaren Ansichten und die zwei unverzichtbaren Teile eines Unteilbaren, einer Monade. Sie bedingen einander und bestimmen sich gegenseitig. Zusammen erst erhalten sie ihren Sinn. Je für sich genommen bleiben sie defizitär: das aus seinem Zusammenhang gelöste Ding „fällt heraus“ und wird sinnlos; ähnlich wird eine Hülle ohne Inhalt wirkungs- und damit sinnlos. Man hüte sich also, das jeweils konträre Element nur als marginal abzutun, als nicht notwendig oder nicht inhärent zu charakterisieren. Sie bilden zusammen die sich lebendig gestaltende Einheit. Ihre Wechselwirkungen sind ähnlich denen eines Organismus`.

Mit diesem Gesetz der gegenseitigen Bedinglichkeit spielt in der Kunst die Assemblage. Sie kombiniert einzelne Objekte zu einem neuen Ganzen, zu einer bisher in just dieser Form noch unrealisierten Einheit.

Jedes Objekt hat seine eigene Geschichte. Sein ehemaliger Gebrauch bzw. seine verloren gegangenen Funktionen bleiben anhaftend, allerdings nur durch Erinnerung aufrufbar. Zusammen mit der physischen Substanz bilden sie seine Materialität. Wird dies nun quasi als Rohstoff in einen neuen Umkreis gesetzt, gerät das Objekt auch in ein neues Netz von Bezügen. Es ist ein „Sprung des Gewesenen ins Jetzt“ (Yves Klein). Sein ehemaliger Sinn färbt den durch den gegenwärtigen Kontext neu erworbenen Sinn ein. Die Ausdrucksmöglichkeiten des Gegenstandes werden bereichert bezüglich Form, Substanzialität und Begrifflichkeit, und seine Hinweiskapazität steigert sich.

Es liegt nun am Betrachter, welche Bezüge sich im Anschauen realisieren. Das bekannte Ding schickt ihm etwas Begriffliches entgegen, das aber in dem aktuellen Zusammenhang erstmal keinen Sinn zu geben scheint. Diese Diskrepanz sorgt für einen Impuls, kreativ einzusteigen und selber sprechende Bezüge zu finden. Der Reiz der Assemblage liegt im innerlich aktiv werden, indem eine neue Sinnbildung gesucht oder die vorgefundene Paradoxie in eine höhere Stimmigkeit gebracht zu werden versucht wird. Assoziationsketten laden die Objekte ein, sich auf Begriffsebene ungewohnt darzustellen und mit neuer Sprache zu sprechen; gleichermaßen gehen auch Form und Substanzialität reizvolle Bezüge mit dem Umkreis ein. Die benachbarten Objekte (=Umkreis) fordern ihren Tribut im Dasein des Einzelgegenstandes. So liefern Assemblagen lauter Angebote zum Bilden von spontanen Zusammenhängen zwischen Beobachtung und Bedeutungszuweisung. Kreatives und „wildes Denken“ (Claude Levi Strauss) ermöglichen das Erscheinen neuer Wirklichkeiten und neu zu erzählender Geschichten. Die Freiheit, bestehende und ausrangierte, schon ins Verschrotten oder Kompostieren blickende Gegenstände menschlicher wie natürlicher Genese neu zu verorten, indem sie einem anders sinnstiftenden Zusammenhang zugeführt werden, ist lustvoll. Gedankt wird es mit einer Fähigkeit, vielerorts oft verborgen bleibende Zusammenhänge zu entdecken wie auch aufmerksam zu werden auf Aussagen, die Objekte schon durch einfaches Angrenzen tätigen.

Den generellen Gedanken, dass das, was etwas ist, es im Hinblick auf eine Beziehung zu etwas anderem ist, formulierte schon Aristoteles – eine unabdingbare Verflechtung des Gegenstands mit seinem Umkreis. Und dieser Umkreis, bedeutungsmäßig weit gefasst, sorgt dafür, dass in und um das Objekt sich Sinn bildet. Und je nach dem, was im betrachtenden Bewusstsein realisiert wird, erscheint diese Sinn-Einheit mehr oder weniger vielgestaltig und mehr oder weniger bewegt lebendig, um sich konstituieren zu können und auf diese Weise seine Wahrheiten zu vergrößern.


 
 
 
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