Entdeckungen an einem Krug

 

... und auch heute scheint es zuerst einmal die Funktionalität zu sein, die einen Krug zum Krug macht. Meist möchte man etwas Flüssiges von hier nach dort bringen und sucht nach einem adäquaten Gefäß – eine Notwendigkeit im Alltag menschlichen Lebens heute wie dazumal.

Also nahm bzw. nimmt man Ton und formt sich ein Gefäß, einen Krug. Wahrscheinlich entsteht zuerst ein Hohlraum, ein Bauch, ausreichend groß und zumeist rundlich, den man gut und einfach mit fremdem Inhalt füllen kann.

Dann möchte man dieses Gefäß ebenso bequem wieder leeren können. Der Inhalt sollte flugs herausgeholt werden können, ohne zusätzliche Anstrengungen wie etwa ein Entdeckeln, Aufschrauben oder gar Zerschlagen nach Sparschweinchen-Manier. Zum Leeren wäre also eine Fließrinne geschickt, eine sogenannte Tülle, die den Strahl des Auszugießenden leicht und zielsicher dahin lenken kann, wohin man will.

Und drittens böte sich zwecks leichterer Hantierung beim Greifen und Tragen die Montage eines stabilen Griffes an. Ein Henkel sollte also parat sein, um das Kippen und Ausgießen zu erleichtern.

Drei Qualitäten bilden also die Idee eines Kruges: Bauch — Henkel — Tülle. Und diesen dreien wird im konkreten Krug Gestalt verliehen. Die Lust an der Formbildung erwacht, greift schöpferisch die ideellen Impulse auf und begibt sich auf Entdeckungstour. Meistens erscheinen die drei Elemente mehr oder weniger “normal” ausgebildet. Sie können aber auch reduziert oder auch überdimensioniert werden und so auf sich und ihre Funktionen im Gesamtkrug aufmerksam machen. Auch können sie unvermittelt und kommentarlos aneinandergrenzen oder im Gegenteil gestalterisch miteinander in ein “wortreiches” Gespräch kommen.

Wie redet ein Henkel mit einer Tülle?
Vielleicht über verbindende Linienführungen, oder über gemeinsame Gestaltelemente und Muster, oder über korrespondierende Ausrichtungen? Für eine praktische Handhabung allerdings wäre es wahrscheinlich von Vorteil, wenn sie auf polaren Seiten des Kruges platziert sind — denn, wenn sie dicht nebeneinander zu liegen kämen, was wäre das für ein Krug?!

Und zwischen Henkel und Tülle baucht sich wie gesagt der „wichtigste“ Teil der drei Bereiche: ein Hohlraum für fremden Inhalt. Beherrscht er nun allein und wichtigtuerisch den Krug, oder räumt er den zwei „helfenden“ Teilen auch einen ansehnlichen Platz in der ästhetischen Gesamterscheinung ein? Ein regelrechtes Spiel entwickelt sich zwischen diesen Qualitäten einer Krugdreiheit…

Ohne die anfängliche Funktionalität aus dem Bewusstsein zu verlieren — sie macht den Krug erdentauglich — öffnet sich eine belebende Formenvielfalt in diesem Spannungsfeld der Gestaltungselemente. Der Füllraum kann gerne auch asymmetrisch erscheinen. Das kräftig zu Greifende kann gerne auch in bewegter Linie sich einem in die Hand legen. Das zielend Rinnige kann gerne auch als gewellte Ebene sich doppelt biegen. Bauch-Raum und Henkel-Linie und Tülle-Fläche – diese drei Elemente treffen sich an jedem noch so kleinen Krüglein. Ihre harmonische Ausgewogenheit ergötzt im Alltag das ästhetische Auge. Und ihre ambitionierten Formenabtausche, ganz abgesehen von andersweitigen Schmuckverzierungen, erzählen spannende Gestaltgeschichten – egal ob vor 5000 Jahren oder als aktuelle Zeitgenossen.


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Archaische Keramik trifft Eisen der Moderne

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Doppelschau und Dialoge