Oberflächen von optischer und haptischer Tiefe
Oberflächen sind Grenzen. Grenzen gibt es zwischen zwei Zuständen oder Substanzen oder Seinsweisen. Beidseitig dieser Trennlinie ist jeweils anderes. Verschiedenheiten grenzen aneinander. Sie sind dabei durch ein Drittes voneinander getrennt.
Gleichzeitig steht aber die Grenze auch für einen Übergang. Grenzen können geradezu Vermittler sein zwischen Gegensätzen. Je nachdem lassen sie mehr oder weniger Wahrnehmung des jeweils Andersartigen zu. Durchlässige Grenzen können Diffusion und Kommunikation erlauben, undurchlässige Grenzen jedoch einen Austausch geradezu verhindern.
Bisweilen kann eine Grenze aber auch um ihrer selbst willen imponierend in Erscheinung gesetzt sein.
Die Oberflächen eines Tonobjektes versuche ich soweit wie möglich physikalisch zu verdichten durch intensives Polieren. Diese archaische Oberflächenbehandlung während des Trocknungsvorganges ist kein Schleifen, sondern die winzigen Tonplättchen werden im Mikrometerbereich so ausgerichtet, dass sie dicht und parallel zu liegen kommen und so beginnen können, das Licht zu reflektieren – umso mehr desto mehr Wasser aus dem Tongemisch verdunstet. Im gänzlich ausgetrockneten Zustand ist ein Ausrichten nicht mehr möglich, der Ton ist starr, ein Weiterpolieren würde nur über die Oberfläche kratzen und sie wieder verletzten. Das lufttrocken glänzende Objekt wird im Niedrigbrand einer Temperatur von nur 750 bis max. 900° C ausgesetzt. Eine höhere Hitze versintert den Ton und zerstört damit die eingearbeitete Tonplättchenstruktur. Dann wären die Oberflächen wieder rau und stumpf und hätten ihre reizvollen seidigen Glanz verloren.
Niedriggebrannt behalten Tonkörper wie auch die verdichteten, glänzenden Oberflächen eine gewisse Porosität. Damit sind hervorragende Möglichkeiten für die gestaltenden Prozesse eines Rauchbrands gegeben. Die Durchlässigkeit des Scherbens erlaubt den oxidierenden Flammen und reduzierenden Rauchschwaden ein Durchdringen. Sie hinterlassen dabei Spuren. Die glatt polierten Oberflächen bleiben auch unter den „tieferen“ Temperaturen des Rauchbrandfeuers (400°~ 800° C) meistens gewahrt, je nachdem was um sie verbrannt wird. Kirschkerne oder Kaffeesatz zum Beispiel scheinen punktuell größere Hitze entwickeln zu können und sorgen dann für eine gewisse lokale „Vermattung“. Holt man dann die Objekte aus der abgekühlten Asche und reinigt sie, so zeigen sich die Oberflächen mit faszinierenden wolkenhaften oder fließenden Strukturen durchsetzt. Oft überrascht eine eigenartige optische Tiefe, so als könne man ansatzweise in den Ton hineinblicken. Assoziationen zu poliertem Granit oder Marmor stellen sich ein…
Das anschließende Einreiben und Polieren mit flüssigem Bienenwachs lässt dieses in die Oberflächen hinein diffundieren und füllt die Poren. Zum Glanz gesellt sich nun eine gewisse hellgelbliche “Wärme”, und das Objekt erinnert dann bisweilen auch an Speckstein oder Horn, gar Holz…
Gelingt all dieses, so ist man geradezu sinnlich animiert zum Betasten, Begreifen und Genießen eines Rauchbrandobjektes - und dann zeigt sich eine wahrhaft gelungene Grenzbildung: durchlässig und mit imponierender Gestaltung. So künden die Oberflächen organisch von einem Material, dem auf archaische Weise Haltbarkeit und Schönheit verliehen wurde.